Daten, Editionen, Kuratierte Sammlung, Quellen

Das philologische Seminar der Berliner Universität: Forschungsdaten zur Entstehung der modernen Forschungsuniversität und der höheren Lehrerbildung

Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die philologischen Seminare zu zentralen Institutionen für die Entstehung der modernen Forschungsuniversität sowie der höheren Lehrerbildung. Für die Geschichte des von August Boeckh (1785–1867) geleiteten Berliner Seminars ist nun ein Datenbestand verfügbar, der die Geschichte des Seminars von seiner Gründung 1812 bis 1826 zu erforschen erlaubt. Die Forschungsdaten entstanden im Rahmen der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Berliner Intellektuelle 1800–1830 an der Humboldt-Universität zu Berlin und enthalten neben den Handschriftentexten der Jahresberichte zahlreiche weitere strukturierte Informationen zu den Seminarmitgliedern, den Übungen sowie den Seminararbeiten. Der Bestand ist daher nicht nur für die Disziplingeschichte der Klassischen Philologie äußerst interessant, sondern auch für die Geschichte neuer universitärer Organisations-, Lehr- und Lernformen seit 1800 und für die Entwicklung der höheren Lehrerbildung.

Link zur Edition der Jahresberichte in der digitalen Edition Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800:

https://www.berliner-intellektuelle.eu/author?p0178 (bzw. auf der neuen Projektseite der Edition Digitale Edition historischer Texte, 2022 noch im Beta-Status: https://discholed.huma-num.fr/exist/apps/discholed/index.html?collection=bi%2Fcorpus&facet-from=August+Boeckh)

Link zu den strukturierten Informationen im Datensatz „Daten zum philologischen Seminar der Berliner Universität (Version 1.1) [Data set]“, Zenodo: https://doi.org/10.5281/zenodo.6186813.

Philologische Seminare und die Lehrerausbildung: Neue forschungsorientierte Lehr- und Arbeitsformen an der Universität

Für die 1809/10 gegründete Berliner Universität war die Berufung des erst 25-jährigen Klassischen Philologen August Boeckh ein Glücksfall. Als Professor der Klassischen Literatur, als Dekan, Rektor und offizieller Sprecher der Universität nahm er einflussreiche Positionen ein. So entfaltete Boeckh eine rege wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Produktivität, mit der er die Entwicklung der Berliner Universität und der Klassischen Philologie entscheidend prägte. Hierzu gehört auch das philologische Seminar, das er 1812 gründete und bis zu seinem Tod 1867 leitete. Es sollte bis in die 1870er Jahre das einzige geisteswissenschaftliche Seminar an der Berliner Universität bleiben. Zahlreiche gut ausgebildete Klassische Philologen wie auch Germanisten gingen aus ihm hervor. Neben Studenten, die eine akademische Laufbahn mit Promotion und Professur anstrebten, studierten ebenfalls zukünftige Lehrer in Boeckhs Seminar. Sie eigneten sich hier fundierte Kenntnisse zu wissenschaftlichen Methoden und philologischen Praktiken an. Der dezidierte Forschungsanspruch des Seminars prägte ihr Selbstverständnis als angehende Lehrer.


Abb. 1: August Boeckh um 1820. Quelle: August Boeckh: Die Staatshaushaltung der Athener. Hrsg. von Max Fränkel (Berlin, 1886). 3. Aufl., Bd. 1, Frontispiz.


Abb. 2: Die Berliner Universität um 1850, mit dem Reiterstandbild Friedrichs des Großen. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Universitaet_um_1850.jpg.

Seminare waren um 1800 eine vergleichsweise neue und innovative Lehr- und Arbeitsform, die es nur an wenigen Universitäten der deutschen Staaten gab. Der Universitätsbetrieb basierte zu dieser Zeit hauptsächlich auf den beiden traditionellen akademischen Formen der Vorlesung und der Disputation. Die Vorlesungen hörten die Studenten aus der passiven Beobachterperspektive. Hier bekamen sie Fakten und Inhalte vermittelt. Im Seminar hingegen arbeiteten ausgewählte Studenten in einer kleinen Gruppe aktiv und wandten die vermittelten Methoden eigenständig an. Besonders das regelmäßige Verfassen von Aufsätzen zur Einübung wissenschaftlichen Schreibens war charakteristisch für die seminaristische Arbeitsweise. Außerhalb der Seminare war studentisches Schreiben an den deutschen Universitäten noch für längere Zeit nicht üblich oder gar gefordert. Erst durch die Seminare hielt es Einzug in das universitäre Studium, aus dem es heute nicht mehr wegzudenken ist.

Die ersten Seminare im deutschsprachigen Raum wurden im 18. Jahrhundert innerhalb der Klassischen Philologie gegründet. Ihren Ursprung hatten sie als pädagogische Einrichtung für die Ausbildung von Lehrern. 1737 richtete der Pädagoge und Klassische Philologe Johann Matthias Gesner an der Reformuniversität Göttingen das erste seminarium philologicum ein, um die Qualität des Schulunterrichts zu heben und diesen an die Anforderungen einer neuhumanistischen Ausbildung anzupassen. Traditionell wurde der Lehrerberuf von Theologen ausgeübt, die nur vorübergehend an Schulen arbeiteten und dann in Predigerstellen wechselten. Daher waren es Studenten der Theologie, die in Gesners Seminar aufgenommen wurden. Neben Theologie wurden alle Fächer der Philosophischen Fakultät unterrichtet, also Philologie, Geschichte, Geographie, Philosophie, Mathematik und Physik. Auch gab es unterrichtspraktische Übungen und methodische Anweisungen für den Unterricht. Anders gestaltete sich die Situation im bedeutenden philologischen Seminar in Halle, das 1787 vom Klassischen Philologen Friedrich August Wolf, dem Begründer der Altertumswissenschaft, eingerichtet wurde. Dieser trennte die Lehrerausbildung vom Theologiestudium und nahm nur Philologiestudenten in sein Seminar auf. Der Lehrerberuf wurde zu einer eigenständigen Profession und Philologiestudenten hatten nun eine neue Berufsperspektive. Fachdidaktische Aufgaben und Unterrichtsübungen setzte Wolf im Rahmen seines Seminars kaum um, Schwerpunkt war die fachwissenschaftliche philologische Ausbildung.

August Boeckh selbst hatte im Hallenser Seminar bei Wolf studiert. Im Gegensatz zu diesem war in Boeckhs Berliner Einrichtung nicht die Ausbildung von Lehrern, sondern von Wissenschaftlern das erklärte Ziel. Die Seminarstatuten lassen den Aspekt der Lehrerausbildung gänzlich unerwähnt. In der Praxis des Seminars war die fachliche Ausbildung von Lehramtsstudenten dennoch ein wichtiger Bestandteil. Der Anspruch von Professionalisierung galt für angehende Universitätsdozenten und für künftige Lehrer gleichermaßen, die neben ihrer Schultätigkeit weiterhin forschen und publizieren sollten. Doch trennte Boeckh ganz klar den wissenschaftlichen vom pädagogischen Teil der Lehrerausbildung: Für letzteren sah er nicht das philologische Seminar der Universität als zuständig an, sondern das Seminar für gelehrte Schulen. Viele von Boeckhs Seminaristen gingen nach Abschluss ihrer Studien in dieses über, dem Boeckh ab 1819 ebenfalls vorstand.

Archivalische Quellen

Für die Untersuchung von philologischen Seminaren reicht es nicht, sich auf Seminarstatuten und andere offizielle Verlautbarungen zu beschränken. Die Berücksichtigung der tatsächlichen Umsetzung der Vorschriften und der regulären Seminarpraxis ist notwendig, um eine angemessene Bewertung im Kontext von Philologie-, Universitäts- und Bildungsgeschichte vornehmen zu können. Speziell die Jahresberichte, die die Direktoren über die Vorgänge im Seminar zu verfassen hatten, erlauben die Rekonstruktion dieser Binnenperspektive, wurden von der Forschung jedoch bisher nur in Ansätzen berücksichtigt.

Für das Berliner philologische Seminar ist umfangreiches Material im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin sowie im Geheimen Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz vorhanden. (Im Archiv der HU handelt es sich neben anderen Archivalien hauptsächlich um die Akte Phil. Fak. Nr. 99, Zeitraum 1812–1826, 261 Blatt. Im GStA handelt es sich um die fünfbändige Akte I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. X Nr. 2, Zeitraum 1812–1924, über 1000 Blatt.) Diese Materialien beinhalten die Korrespondenz zwischen Boeckh als Seminardirektor mit dem vorgesetzten preußischen Innen- bzw. Kultusministerium und vor allem die Jahresberichte. Sie bieten eine Vielzahl von Informationen über die Entwicklungen im Seminar, über die einzelnen Seminaristen, über Inhalt und Ablauf der Übungen. Da die Seminararbeiten nicht mehr erhalten sind, sind die Jahresberichte mit den Kurzangaben Boeckhs die einzige Quelle bezüglich deren Inhalte und Qualität, die allerdings bei systematischer Analyse viele aufschlussreiche Rückschlüsse erlauben. Boeckh nutzte die Berichte auch zur Empfehlung von Seminaristen, die sich besonders für den Lehrerberuf eigneten. Die Ministerialbeamten berücksichtigten diese bei Stellenbesetzungen.

Abb. 3: August Boeckh: Bericht über den Zustand des philologischen Seminars, vom 26.09.1813, mit Nennung der Mitglieder, Übungen und Seminararbeiten auf der ersten Seite. Quelle: Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät 99, Bl. 32r

Die inhaltliche Erschließung und Auswertung dieser Archivalien liegt mit dem von Sabine Seifert 2021 veröffentlichten Buch Die Ursprünge der Berliner Forschungsuniversität. August Boeckhs philologisches Seminar in Konzeption und Praxis (1812–1826) vor. Im Anhang werden umfassende strukturierte Übersichten mit Informationen aus den Jahresberichten präsentiert. Die von Sabine Seifert erarbeitete Erstveröffentlichung der Archivalien erfolgt in der digitalen Edition Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800, die von Anne Baillot herausgegeben wird. Auf diese beiden Datenbestände wird im Folgenden eingegangen. Die Dissertation sowie die digitale Edition entstanden an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Anne Baillot im Rahmen der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Berliner Intellektuelle 1800–1830, die von 2010 bis 2016 bestand und der Sabine Seifert als Mitarbeiterin und Doktorandin angehörte.

Datenbestände

Die hier beschriebenen Datenbestände zum Berliner philologischen Seminar konzentrieren sich auf den Untersuchungszeitraum von der Gründung des Seminars 1812 bis 1826. Sie setzen sich zusammen aus einerseits Informationen, die aus handschriftlichen Quellen extrahiert, überprüft und systematisch geordnet wurden. Angereichert mit weiteren Forschungsdaten liegen sie in umfassenden tabellarischen Übersichten vor. Andererseits handelt es sich um die Handschriftentexte selbst, die Jahresberichte und weitere Kommunikation zwischen Boeckh als Seminardirektor und dem vorgesetzten Ministerium, die als TEI/XML-Dateien zur Verfügung stehen.

Datenbestand 1: Tabellarische Übersichten mit strukturierten Informationen

Die tabellarischen Übersichten mit aus den Handschriften extrahierten Informationen konzentrieren sich auf die Mitglieder des Seminars, die Übungen und schriftlichen Arbeiten. Sie liegen gedruckt vor im bereits genannten Buch Die Ursprünge der Berliner Forschungsuniversität (Anhang 6.3–6.10, S. 350–425), können aber auch als Excel- und PDF-Dateien auf Zenodo eingesehen werden .

Aufgrund der Angaben in Boeckhs Jahresberichten konnten erstmals die Studenten identifiziert werden, die von 1812 bis 1826 Mitglied im philologischen Seminar waren. Die Mitgliederliste beinhaltet die alphabetische Auflistung der insgesamt 258 Studenten mit ihrem vollständigen Namen sowie dem Zeitraum ihrer ordentlichen bzw. außerordentlichen Mitgliedschaft. Für fast die Hälfte aller Seminaristen konnte die GND-Nummer der Deutschen Nationalbibliothek ermittelt werden. Dazu wird die eindeutige Identifikationsnummer der digitalen Edition Briefe und Texte angegeben. Daneben gibt es eine entsprechend gestaltete Auflistung der Mitglieder der philologischen Gesellschaft, die von 1811 bis 1812 bestanden hatte, bevor Boeckh das Seminar gründete.

Die Übersicht zu den Übungen gibt in chronologischer Folge pro Semester die Inhalte der Interpretationsübung zu den griechischen und römischen Schriftstellern an. Genannt werden die behandelten Autoren und Werke, ggfs. mit konkreten Angaben wie „2. Buch, 2. Kapitel“ von Platons Republik im Sommersemester 1814, wenn diese aus den Jahresberichten hervorgehen. Vermerkt ist auch, wenn die Übungsinhalte von den Ankündigungen im Vorlesungsverzeichnis abwichen, die oft genug gar keine Angabe zu behandeltem Autor oder Werk machen, oder die Übungen ausfielen und welche Vorlesungen Boeckh im jeweiligen Semester hielt.

Ein Schwerpunkt dieses Datenbestandes liegt in der Auflistung der 219 Seminararbeiten, die bis 1826 von 86 Mitgliedern eingereicht wurden. Angegeben werden der originale lateinische Titel, dessen deutsche Übersetzung und das Semester der Abgabe der Arbeit. Es wird darauf hingewiesen, ob sich die Arbeit mit der griechischen oder der römischen Antike, vergleichend mit beiden Bereichen oder mit einem anderen beschäftigt. Diese Angaben zu den 219 Arbeiten werden zweifach präsentiert, um einen studentisch orientierten und einen thematisch geleiteten Zugriff zu ermöglichen. In der alphabetischen Auflistung der Seminararbeiten nach Verfassern erhalten die einzelnen Einträge zusätzlich als inhaltliches Schlagwort den behandelten Autor und dessen Werk bzw. das Thema. In der thematischen Anordnung werden die Arbeiten zuerst aufgeteilt in die Bereiche griechische und römische Antike, dann thematisch sortiert in die Themenbereiche Literatur, Geschichte, Philosophie, Mythologie etc. und schließlich innerhalb dieser alphabetisch nach dem behandelten Autor und dem behandelten Werk aufgelistet.

Abb. 4: Auszug aus der Übersicht „Die Mitglieder des philologischen Seminars 1812-1826“. Quelle: Sabine Seifert: Die Ursprünge der Berliner Forschungsuniversität. August Boeckhs philologisches Seminar in Konzeption und Praxis (1812-1826) (Berlin, 2021), S. 358.

Abb. 5: Auszug aus der Übersicht „Die Seminararbeiten nach Verfassern 1813-1826“. Quelle: Sabine Seifert: Die Ursprünge der Berliner Forschungsuniversität. August Boeckhs philologisches Seminar in Konzeption und Praxis (1812-1826) (Berlin, 2021), S. 374.

Abb. 6: Auszug aus der Übersicht „Die Seminararbeiten nach behandelten Autoren und Themen 1813–1826“. Quelle: Sabine Seifert: Die Ursprünge der Berliner Forschungsuniversität. August Boeckhs philologisches Seminar in Konzeption und Praxis (1812-1826) (Berlin, 2021), S. 389.

Ergänzt werden diese Übersichten durch eine Auflistung der für die Aufnahme in das Seminar eingereichten Probeschriften im Jahr 1812 (für alle weiteren Jahre werden diese in den Quellen nicht mehr genannt) und durch eine Auflistung von 58 Dissertationen der Mitglieder bis 1826 (mit bibliographischen Angaben, Promotionsfach, -ort und -jahr und der Angabe, ob und welche Seminararbeit der Dissertation zugrunde lag).

Datenbestand 2: TEI-Dateien der Handschriften und Indizes

Neben diesen aus den Handschriften extrahierten Informationen sind deren Volltexte ebenfalls veröffentlicht und liegen als TEI/XML-Dateien vor. Es handelt sich um Boeckhs Jahresberichte zum philologischen Seminar und zugehörige Briefe von 1812 bis 1826, um die Seminarstatuten sowie Boeckhs Entwurfsplan von 1812. Diese (derzeit) 22 Handschriften umfassen 124 transkribierte Blatt. Diese Dateien, wie auch die vier noch zu nennenden Indizes, sind veröffentlicht in der digitalen Edition Briefe und Texte  und stehen zum Download auf GitHub bereit.

Die Handschriftentexte wurden nach den Guidelines der Text Encoding Initiative (TEI) kodiert, die den De-facto-Standard für die digitale Textrepräsentation darstellen. Die TEI/XML-Dateien enthalten die Transkription der Handschriften in einer Kodierung, die einerseits eine buchstabengenaue, diplomatische Umschrift präsentieren und andererseits mit der Kodierung von Abkürzungen, Streichungen/Hinzufügungen etc. eine Lesefassung produzieren kann. Enthalten sind ebenfalls ein Sachkommentar mit Kontexthinweisen sowie umfangreiche Metadaten zur Handschrift mit Informationen zu Entstehung und Aufbewahrungsort, verwendeten Sprachen sowie einer Material-, Umfangs- und Zustandsbeschreibung. Entitäten wie Personen (z. B. die Seminarmitglieder) und Organisationen, Orte und Werke (z. B. die Seminararbeiten) werden mit einer Identifikationsnummer versehen, die sich projekt-spezifisch auf die digitale Edition Briefe und Texte bezieht und die ebenfalls in der oben beschriebenen, tabellarischen Übersicht zu den Seminarmitgliedern notiert ist. Diese IDs verweisen auf die vier separaten Index-Dateien der Edition, ebenfalls in TEI/XML kodiert, in der jeweils die genannten Personen, Organisationen, Orte und Werke erfasst und mit weiteren Angaben angereichert sind.

Abb. 7: Auszug aus der TEI/XML-Datei für den Jahresbericht vom 26. September 1813. Quelle: https://www.berliner-intellektuelle.eu/xml/Brief003Boeckh.xml.

Abb. 8: Auszug aus der TEI/XML-Datei für den Personenindex der Edition Briefe und Texte, Eintrag für den Seminaristen Carl Leberecht Pfefferkorn. Quelle: Download unter Daten auf https://www.berliner-intellektuelle.eu/about?de.

Abb. 9: Eintrag aus dem Personenindex der Edition Briefe und Texte für den Seminaristen Carl Leberecht Pfefferkorn. Quelle: https://www.berliner-intellektuelle.eu/entity?p0657.

Im Personenindex, der insgesamt ca. 3900 Einträge aus der gesamten Edition Briefe und Texte enthält, sind somit alle 258 Seminaristen aufgenommen. Neben den Angaben aus der tabellarischen Übersicht (Zeitraum der Mitgliedschaft und GND-Nummer) sind hier noch weitere Angaben verzeichnet, wie etwa Geburts- und Sterbedaten und ‑orte, spätere berufliche Tätigkeiten, Zugehörigkeit zu Institutionen und Beziehungen zu anderen Personen im Index (z.B. Verwandtschaften, Schüler-Lehrer-Beziehung zu Boeckh). Bei der Darstellung der Indexeinträge auf der Weboberfläche der Edition wird zudem aufgelistet, in welchen Handschriften diese Person erwähnt wird und – über die GND und das BEACON-Format – in welchen projekt-externen Ressourcen diese Person ebenfalls vorkommt. Im Institutionenindex, der ca. 160 Einträge zu Institutionen und Gesellschaften enthält, entfallen mehr als 50 Einträge auf das philologische Seminar, pro Semester erfasst mit den jeweiligen ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern. Es ist somit eine vollständige Anzeige aller Seminarmitglieder oder die Anzeige der Mitglieder für die einzelnen Semester möglich (z. B. die ordentlichen Mitglieder im Sommersemester 1818). Die im Seminar behandelten Werke antiker Autoren, die in den Jahresberichten genannte Forschungsliteratur und Textgrundlagen sind im Werkindex, der ca. 6000 Werke verzeichnet, mit bibliographischen Angaben erfasst. Hier finden sich ebenfalls die 219 Seminararbeiten mit ihren lateinischen Titeln und deren deutscher Übersetzung.

Die Erstveröffentlichung der TEI-Dateien der Handschriften und Indizes erfolgte im Rahmen der digitalen Edition Briefe und Texte, die neben Boeckh auch Briefe und Texte von Friedrich von Raumer, Adelbert von Chamisso oder E.T.A. Hoffmann präsentiert. Die Transkription kann als diplomatische Umschrift oder als Lesefassung angezeigt, sie kann zusammen mit den Metadaten und dem Kommentar als TEI-Datei oder PDF heruntergeladen werden. Die Editionsrichtlinien für die Transkription sowie die projektspezifischen Kodierungsrichtlinien für die TEI-Auszeichnung stehen ebenfalls zum Download zur Verfügung. Alle Inhalte der Edition werden unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz veröffentlicht. Hier bilden lediglich die Digitalisate der Handschriften eine Ausnahme, deren Rechte bei den besitzenden Institutionen liegen und die in hochauflösender Ansicht neben der Transkription oder als Vollbild eingesehen werden können. Die Edition Briefe und Texte wird 2021/22 technisch überarbeitet und geht mit einem neuem Workflow, in Verwendung des TEI Publisher und gewandelter Präsentationsoberfläche in das Projekt Digitale Edition historischer Texte ein, das Korrespondenzen und Egodokumente weiterer Projekte bereitstellen und somit mehrere Editionen in sich vereinen wird. Solange letztere noch überarbeitet wird, bietet sich die Edition Briefe und Texte bis zu ihrer Offline-Schaltung als primärer Einstieg an.


Abb. 10: Anzeige des Digitalisats und der diplomatischen Umschrift in der Edition Briefe und Texte für die erste Seite des Jahresberichts vom 26. September 1813. Quelle: https://www.berliner-intellektuelle.eu/manuscript?Brief003Boeckh#1.

Boeckhs Seminarpraxis zwischen Übung und Forschung

Die systematische Auswertung der Handschriften und extrahierten Informationen erlaubt einen detaillierten Einblick in die Praxis von August Boeckhs philologischem Seminar. Die Arbeits- und Studiensituation im Seminar unterschied sich deutlich vom Vorlesungsbesuch: Für die Aufnahme musste eine lateinische Probearbeit eingereicht und eine mündliche Prüfung absolviert werden; die aktive Teilnahme an allen Seminarübungen sowie deren gründliche Vorbereitung waren obligatorisch; pro Semester war eine lateinisch abgefasste Seminararbeit einzureichen. Dies bedeutete einen deutlichen zeitlichen Mehraufwand gegenüber dem regulären Studium. Während aller Arbeiten im Seminar lag der Schwerpunkt auf dem Leistungsprinzip und bei ungenügender Leistung oder Fehlverhalten konnte Boeckh Studenten aus dem Seminar ausschließen. Dafür erhielten sie regelmäßige finanzielle Unterstützung in Form von Prämien, die gerade für die Unbemittelteren von großer Bedeutung für die Finanzierung ihres Studiums waren. Im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es oft die ärmeren Studenten, die Philologie studierten und sich für den Lehrerberuf entschieden.

In einer kleinen Gruppe von bis zu zehn ordentlichen und weiteren außerordentlichen Mitgliedern traf man sich fünfmal in der Woche zu den Übungen, die fast alle in lateinischer Sprache durchgeführt wurden. Die ordentlichen Mitglieder nahmen hier aktiv teil und übten sich in der Rolle der Vortragenden. Neben den Interpretationsübungen zu griechischen und römischen Autoren, gab es Übungen zur Verlesung und Beurteilung der Seminararbeiten sowie – eine Neuerung Boeckhs – zur gemeinsamen Diskussion von Fragen, die die Studenten selbst aufwerfen sollten. Das Ziel der Übungen war das Erlernen von philologischen Methoden, die Herausbildung einer kritischen Urteilskraft sowie das Führen von wissenschaftlichen Diskussionen mit Argumenten und Gegenargumenten.

Diese Fertigkeiten sollten schließlich beim Verfassen der Seminararbeiten eigenständig angewendet werden, für die es eine Ausarbeitungszeit von acht Wochen gab. Zwei auffällige Unterschiede zum heutigen Vorgehen im akademischen Betrieb bestehen darin, dass die Arbeiten gemeinsam diskutiert und beurteilt wurden und zuvor unter den Mitgliedern zirkulierten, damit diese sich selbst ein Urteil bilden konnten. Die Wahl des Themas stand den Seminaristen frei und erfolgte aus dem gesamten Bereich der Altertumswissenschaft. Sie arbeiteten zu zahlreichen damals noch wissenschaftlich unbearbeiteten Themen innerhalb von Literatur, Geschichte, Philosophie, Rhetorik, Mythologie, Kultur- und Rechtsgeschichte, Geographie und Sprachwissenschaft. Den Schwerpunkt bildeten jedoch Untersuchungen zur griechischen Tragödie (hauptsächlich zu Sophokles, Aischylos und Euripides) und zu geschichtlichen Themen. Pädago­gische Fragen hingegen wurden nicht in den Aufsätzen abgehandelt, wie dies noch im Hallenser philologischen Seminar unter Wolf möglich gewesen war, da für Boeckh allein die wissenschaftliche Ausbildung der künftigen Philologen und Lehrer im Vordergrund stand.

Bezüglich der Qualität der Arbeiten reichte die Spanne von ungenügenden Abhandlungen über die zufriedenstellende Anwendung philologischer Methoden bis hin zu hervorragenden Untersuchungen, deren Ergebnisse Boeckh als neuen wissenschaftlichen Beitrag lobte und die in der Folge oftmals zu Dissertationen ausgearbeitet wurden. Gerade aus den Abhandlungen zu geschichtlichen Themen und Realia sind auffallend viele Dissertationen entstanden, die zur Profilierung der Berliner Philologie im zeitgenössischen Diskurs beitrugen.

Mit dem philologischen Seminar ermöglichte Boeckh den Seminaristen ein privilegiertes Arbeits- und Forschungsumfeld, in dessen Rahmen sie eine intensive Betreuung erhielten und über einen längeren Zeitraum zu einem Autor bzw. einem Thema forschen konnten. Die Zugehörigkeit zum Seminar bot somit eine exzellente Vorbereitung für eine Promotion (nicht nur) innerhalb der Philologie. In den Jahren bis 1830 gab es an der Berliner Philosophischen Fakultät kaum Dissertationen zu altertumswissenschaftlichen Themen von Studenten, die nicht Mitglied in Boeckhs Seminar gewesen waren. Mittels dieser intensiven und spezialisierten Forschungen leistete das Semi­nar einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Philologie als Disziplin im Laufe des 19. Jahrhunderts. Und es löste den Forschungsanspruch ein, der auch von staatlicher Seite im Zuge von Bildungsreform und neuhumanistischen Bestrebungen an die Universi­täten gestellt wurde, innerhalb derer die Berliner Universität gegründet worden war.

Weiterführende Literatur

Zur Zotero Library

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