Daten, Werkstatt

Wer waren die Absolventen des Gothaer Gymnasiums Illustre?

Ein neuer Datensatz für die Erforschung der Schul- und Bildungsgeschichte von der Reformation bis ins 19. Jahrhundert

Das Gothaer Gymnasium Illustre oder Ernestinum, über Jahrhunderte hinweg eine Institution von überregionaler Reichweite, ist ein interessantes bildungsgeschichtliches Forschungsobjekt, schon allein ob seiner komplexen Überlieferung: 8,3 Regalmeter Akten liegen heute im Thüringischen Staatsarchiv[1] mit einer Laufzeit von der Gründung des Gymnasiums am 21. Dezember 1524 durch Friedrich Myconius bis zu seiner Auflösung als nun humanistisches Gymnasium in der Sowjetischen Besatzungszone im April 1947. Über 500 Jahre Schul- und Bildungsgeschichte in wechselnden kulturellen und politischen Kontexten lassen sich hier rekonstruieren – und sollten sich mit der soeben von Heino Richard, Genealoge in Gotha, vorgelegten datentechnischen Erschließungsarbeit neuartig digital durchdringen lassen.

Vorgelegt wird hier der Datensatz aller 4215 Absolventen der Jahrgänge bis 1882 – in einer Wikibase-Instanz, die die Daten nicht nur tiefgreifend analysierbar macht und frei konfigurierbar für den Download bereitstellt, sondern auch einer kollaborativen Fortentwicklung zugänglich macht.

Sowohl das Gymnasium wie die spezielle Form der Datenpublikation auf einer Wikibase-Plattform verdienen einige eingehendere Bemerkungen.

Gothas Gymnasium Illustre/ Ernestinum – Musterschule im Musterterritorium

Gothas Gymnasium, vor seiner Schließung 1947 das älteste kontinuierlich betriebene Gymnasium Deutschlands, genießt einen besonderen Ruf unter den Bildungseinrichtungen der frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts – das Attribut „Illustre“ erhielt es dabei 1600 in Notiz der fürstlichen Trägerschaft und des hochschulähnlichen Charakter der Lateinschule, der neue Name „Ernestinum“ geht auf den Prozess seiner Zusammenlegung mit dem 1836 gegründeten Realgymnasium im Jahre 1859 zurück. Seine bildungshistorische Bedeutsamkeit hat entscheidend mit den Bildungsreformen zu tun, die dem Herzogtum eine innovative Rolle innerhalb des Alten Reiches zuwiesen: Unter der Herrschaft Ernst des Frommen wurde das Gymnasium durch seinen Rektor Andreas Reyher (1641-1673) nachhaltig im Sinne von Wolfgang Ratke, einem der großen Bildungsreformer des 17. Jahrhunderts, reformiert. Bahnbrechend war hier die Integration der Muttersprache in das lateinische Schulwesen, doch führte Reyher auch die Fächer Geschichte, Poetik, Mathematik und außerdem eine neue obere Klassenstufe ein, die Selecta, für höhere universitäre Inhalte. Im 18. Jahrhundert sicherte das Gymnasium seine pädagogische Vorreiterrolle durch ‚aufgeklärte Schulreformen‘, vor allem unter Rektor Johann Gottfried Geißler (1768-1779), der nun die naturwissenschaftlichen Disziplinen in den Unterricht integrierte, den Anteil der alten Sprachen zugunsten von modernen Fremdsprachen wie Englisch und Französisch reduzierte, das Fachlehrerprinzip einführte und verbindliche Lehrpläne entwarf.

Man wird den Verweis auf diese Errungenschaften gleichzeitig als Teil einer retrospektiven Inszenierung der Herrschaft des Territoriums im Rückblick auf seine großen Herzöge Ernst den Frommen (1601-1675) und Ernst II. (1745-1804) werten können. Als Gotha im 19. Jahrhundert eine eigene Position gegenüber Weimar, dem Ort der deutschen Klassik, suchte, gewann die Vorreiterrolle auf dem Bildungssektor an Bedeutung: Andere Territorien hatten sich, lange noch dem Barock verhaftet, mit Opern und prunkvollen Festen und später noch als Musenhöfe inszeniert. Gotha hatte, asketischer, auf die Erziehung der Landeskinder gesetzt und im Verbund mit der Lutherischen Orthodoxie den Weg in die Aufklärung beschritten – eine Selbststilisierung, die der Stadt ein durchaus attraktives Selbstverständnis gab.

4215 Absolventen von der Reformation bis in den Jahrgang 1882

Überliefert sind im Bestand des Thüringischen Staatsarchivs Gotha die Unterrichtsprogramme des Gymnasiums bis in seine Frühphase – vom Altgriechisch-Unterricht bis zum Turnunterricht – sowie die Schulordnungen bis in das Jahr 1641 und die Akten der Finanzierung des Gymnasiums bis auf das Jahr 1772 hinab. Die im Blick auf die Schüler unmittelbar interessanten Aktenbestände sind die der Zeugnislisten, die von 1641 bis 1946 vorliegen. Ab 1837 kommen Informationen über „spezielle Verhältnisse der Schüler“ hinzu – Bestände, die auf eine Aufarbeitung warten.

Wir stellen im Folgenden keine versionierte Datei der Daten der Gothaer Gymnasiasten zum Download bereit, sondern Beispiel-Suchen, die Listen und Visualisierungen CC0-lizenziert zum Download in verschiedenen Formaten generieren. Weder fand eine Listeneingabe statt, die sich nun reproduzieren ließe, noch hat die Datenbank, aus der hier Auszüge zu liefern sind, Verzeichnisse, in denen Datenpakete abgelegt wären.

Genau genommen wurde von Heino Richard in einem Pool von etwa 20.000 Personen seiner größeren Arbeit zu Gothaer Familiengeflechten bei 4.215 Personen vermerkt, dass sie das Gymnasium Illustre/ Ernestinum besuchten. Dazu wurde dann ein Quellenverweis gesetzt, über den sich nun ein Schülerdatensatz inmitten des größeren Personengefüges in verschiedenen Vernetzungen herauskristallisieren lässt. Etwa ein Viertel der Personen waren „alte Bekannte“, angelegt in vorangegangenen Projekten, drei Viertel kamen über die ausgewerteten Absolventenlisten neu hinzu. Das zentrale Interesse der fortlaufenden Arbeit ist deren weitere genealogische Vernetzung, was Defizite z. B. in der Spezifizierung von beruflichen Positionen erklärt. Die Absolventenlisten, wie sie Max Schneider sukzessive von 1905 bis 1913 nach Abschlusskohorten geordnet vorlegte, gab Ulrich Lutzkat mit eigenen Ergänzungen in Reprints in Die Abiturienten des Gymnasiums Ernestinum Gotha seit 1524 (Gotha: Gymnasium Ernestinum, 2014) heraus. Zum Teil sind die folgenden Titel mittlerweile auch in Digitalisaten online verfügbar (die lateinischen Siglen haben wir über die einzelnen Nummerierungen gelegt, um jederzeit eine kohärente Gesamtnummerierung in genau dieser Folge herstellen zu können):

A. „Gothaer Studenten in Wittenberg 1525–1602. Nach Dr. Max Schneider“, in: Ulrich Lutzkat: Die Abiturienten des Gymnasiums Gotha seit 1524 (Gotha, 2014), S. 50–54. Der Bezug gilt Max Schneiders „Zur Geschichte des Gymnasiums in Gotha, V. Beitrag Die Gothaischen Studenten an der Universität Wittenberg“, in: Aus der Heimat. Blätter der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung, 1. Jahrgang Heft 4 (1898), S. 169–178. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00318951

B. Max Schneider: „Berühmt gewordene Schüler der Gothaer Schule aus dem ersten Jahrhundert ihres Bestehens“, in: Mitteilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung (Gotha, 1913), S. 23–55. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00297116

C. Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasium Illustre zu Gotha aus M. Andreas Reyhers und Georg Hessens Rektorat von 1653–1694“, in: Programm des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha / Gymnasium Ernestinum Gotha, 1860-1915 (Gotha, 1911), S. [3]–21. http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ulbdsp/periodical/titleinfo/4681540

D. Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasium Illustre zu Gotha aus Mgr. Gottfried Vockerodts Rektorat von 1695–1727“, in: Programm des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha (Gotha, 1913), S. [3]–22. https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:1-178898

E. Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasium Illustre zu Gotha aus Joh. Heinrich Stussens Rektorat 1729–1767“, in: Mitteilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung (Gotha, 1919), S. 27–66. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00298445

F. Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasium Illustre zu Gotha von 1768–1859“, Teil 1, in:  Programm des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha als Einladung zu der […] stattfindenden Entlassung der Abiturienten (Gotha, 1905), S. 1–16. http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-178814
Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasium Illustre zu Gotha von 1768–1859“, Teil 2, in: Programm des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha als Einladung zu der […] stattfindenden Entlassung der Abiturienten (Gotha, 1906), S. 1–16. http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ulbdsp/periodical/pageview/4547678

G. Ulrich Lutzkat, „Abiturienten des Realgymnasiums zu Gotha 1849–1857“, in: Ulrich Lutzkat, Die Abiturienten des Gymnasiums Gotha seit 1524 (Gotha, 2014), S. 50–54.

H. Max Schneider: „Die Abiturienten des Gymnasiums Ernestinum zu Gotha unter Joachim Marquardts Direktorat 1859–1882“, in: Programm des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha als Einladung zu der öffentlichen Abiturientenentlassung am 28. März 1908 (Gotha, 1908), S. 1–14. http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-178856

Schneiders Listen bieten in der Regel Geburts-, seltener auch Sterbedaten mit den dazugehörigen Ortsangaben, zudem kurze Aussagen zur jeweiligen Karriere, die primär auf das Studienfach verweisen. Angaben zu Verwandtschaftsverhältnissen kamen hinzu, wenn er Väter bereits als Schüler erfassen konnte. Nicht überall wurde der volle Informationsgehalt übernommen; es ging in der geleisteten Arbeit eher darum, das Netz der Datenknotenpunkte, das Gefüge der Personen, an denen nun beliebig weitergearbeitet werden kann, herzustellen und auf Eindeutigkeit und Identifizierbarkeit hin zu konfigurieren.

Die nachfolgende Suche reproduziert die obigen Listen bis in die Folge der Einträge hinein. Die GND-Referenzen sind unvollständig und ein Desiderat aller weiteren Forschung; mit den Normdaten der Deutschen Nationalbibliothek lassen sich die Daten dieses Datensatzes in beliebigen anderen Datenumgebungen auf Identitäten hin abgleichen und insbesondere bibliothekarische Informationen den Namen zuordnen:

  • Basissuche: einfache Schülerliste: Familienname, Listen-Nummer, GND-ID, Kurzlink

Ein Blick auf die Q-Nummern offenbart, dass von den 4215 Schülern 937 bereits aus anderen Projekten einen Eintrag hatten – ihre Nummern sind kleiner als Q190774. Die älteren Datensätze weisen dabei in der Regel die tiefere Vernetzung auf:

  • Sieben Schüler waren aus der Illuminatenforschung bekannt (diesbezügliche Datenbankabfrage) Bei ihnen finden sich Mitgliedschaften und Karrieren genauer erfasst.
  • In zwei frühen Arbeitsschritten gaben wir die Namen und Hausadressen der Gothaer Adressbücher von 1828, 1843 und 1846 sowie die Informationen der Gothaer Wählerliste von 1848 ein. 55 Schülern sind in der Folge georeferenzierte Hausadressen zugeordnet. Die Zuordnung betrifft die notierten Schüler als Hauseigner und Mieter, also als Erwachsene. In einer komplexeren Recherche müssten den lokalisierten Familien die Kinder zugeordnet werden, für die zwischen 1828 und 1848 die Wohnungsadressen bekannt sind – man wüsste im selben Moment, welche Familien in den Häusern Nachbar waren und was für Familien in den unmittelbaren Nachbarhäusern wohnten.
  • Das Gros der komplexeren Datensätze resultiert mit 872 Nummern aus Heino Richards vorangegangener Auswertung des Gothaischen Bandes des Thüringer Pfarrerbuchs.[2] 1.953 Personen aus dem Zeitraum 1520 bis 1920 standen hier als Pfarrer im Zentrum; über 11.000 Personen-Datensätze waren um diese herum zu gruppieren als Eltern, Ehefrauen, Eltern der Ehefrauen, Kinder und als Ehepartner der Kinder.

Die Projekte, die hier unterschiedliche Perspektiven auf Personen warfen, erzeugen unterschiedliche Datenverknüpfungen. Gravierend sind dabei in den drei Datenlagen die Verknüpfungen des Pfarrerbuches, da sich mit ihnen in wechselnden Strängen der verschiedensten familiären Beziehungen Vernetzungen ergaben, die von 1500 bis 1920 reichen.

Im FactGrid mit SPARQL Suchskripten recherchieren – verwirrend offen und chancenreich

Das FactGrid ist weder eine bildungshistorische noch eine genealogische geschweige denn eine spezifisch auf Gotha ausgerichtete Plattform. In einer Kooperation mit Wikimedia Deutschland[3] haben wir im Januar 2018 vom Forschungszentrum Gotha aus und gehostet am Rechenzentrum der Universität Erfurt eine Wikibase-Instanz aufgesetzt. Ziel des anfangs mit dem Fluidum des Experiments betriebenen Projektes war es von uns aus, Wikibase, die Software des Wikidata-Projektes, in einer etwas kontrollierteren Instanz den Geschichtswissenschaften zur Verfügung zu stellen. Die globale Nutzung war und ist dabei interessant, da die Software es erlaubt, von hunderten Sprachen aus an ein und derselben Datenlage zu arbeiten. Von Wikimedia aus agierten wir im selben Projekt erfolgreich als „Trailblazer“[4] der „Öffnung der Software“, eine für uns wiederum ausgesprochen werbewirksame Position, die uns weitreichende Kooperationen erlaubte. 2019 gingen wir eine Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek ein[5] mit dem Ziel, im Verlauf die GND bei uns in Wikibase Information bearbeitbar zu machen. Gelingt das Experiment, werden FactGrid-Daten über die GND im Gegenzug in den zwischen Nationalbibliotheken weltweit geplanten Normdatenaustausch gelangen. Das Projekt von „Federated Wikibase Instances“ steht hier im Hintergrund. 2020 traten wir als „Participant“ dem laufenden NFDI4Memory-Prozess bei, mit dem Ziel, eine zentrale Instanz in der kollektiven Handhabung von geschichtswissenschaftlichen Daten in der deutschen Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) zu werden.

Wie Wikidata ist unsere Instanz nach außen durchgängig transparent – es gibt auf ihr keine abgeschlossenen Räume, in denen Projekte „ihre Daten“ erst einmal für sich vorbereiten; alle Projekte arbeiten stets an derselben Datengrundlage. Anders als im Wikidata-Projekt können FactGrid-Daten jedoch nur von angemeldeten und unter Klarnamen agierenden Mitspielern verändert werden.

Konsequent auf die Aggregation von Datentripeln ausgerichtet, ist Wikibase extrem flexibel. Es gibt in Wikibase Datenbanken, keine kategorialen Setzungen und keine miteinander verschränkten Tabellen. Alles was eine Eigenschaft aufweisen kann, kann genau mit der Aussage dieser Eigenschaft ein Datenbankobjekt werden, das sich nun in beliebigen Sprachen benennen lässt. Die meisten Aussagen verbinden Datenbankobjekte miteinander und schaffen damit eine Vernetzung von Wissensgegenständen, die nun untersucht werden können.

Wikidata erfasst derzeit 94 Millionen Datenbankobjekte, darunter alle Wissensgegenstände, die in irgendeiner der 300 Wikipedien einen Artikel haben. Die Instanz verkraftet und protokolliert Dutzende Veränderungen pro Sekunde – Aspekte, die erklären mögen, weshalb die Software bei Normdatenanbietern weltweit in Erprobung ist. Mit der technischen Innovation kommt jedoch auch eine neue Offenheit, auf die Benutzer nur schlecht vorbereitet sind: Spätestens der Query Service macht diese Offenheit erfahrbar[6] – eine freie Fläche öffnet sich hier, auf der ein Such-Skript geschrieben werden soll. Es gibt zwar eine etwas versteckte Suchhilfe, aber diese klärt nur bedingt, was sich hier wie suchen lässt.

In der Praxis geht man in Wikibase von Mustersuchen aus, die erst einmal die gewünschte Datengrundlage aufrufen. Alle weiteren Suchen lassen sich danach unter Hinzusetzung von Eigenschaften des Interesses in Gang bringen. Die praktische Basissuche war im vorliegenden Fall die Frage nach allen Objekten, bei denen das Gothaer Gymnasium als besuchte Bildungsinstitution auftaucht. Als erste Eigenschaften kamen Geburtsdaten, Familiennamen, die Lokalisierung in den genannten Listen und, soweit bekannt, die jeweilige GND-Nummer hinzu.

Im Property-Verzeichnis ist notiert, was für Eigenschaften Objekte derzeit aufweisen können – aktuell sind das 616 verschiedene, die sich beliebig in immer neuen Spalten einer wachsenden Tabelle anbieten lassen. In der Praxis ist zudem der Blick auf einzelne Datenbankobjekte interessant, die zeigen, wie komplexere Aussagen gemacht sind – Aussagen mit qualifizierenden Zusatzstatements und Quellenbelegen. In Bezug auf die Gothaer Gymnasiasten sind die Datenbankobjekte zu Johann Gottfried Bohn (Q137) und Schack Hermann Ewald (Q313) hier aufschlussreich.

Die folgende Liste erweitert die vorangegangene Suche:

  • Komplexe Schülerliste: Geburtsdatum/ Geburtsort/ Sterbedatum/ Sterbeort/ Vater/ Mutter/ Ehepartner/ Karrierestatement/ Listennummer/ GND-ID, Kurzlink

Die Daten lassen sich unmittelbar in JSON-, CSV-, TSV- und HTML-Formaten herunterladen und sind CC0-lizensiert, das heißt auch ohne Quellennennung verwendbar (ein wichtiges Detail, das zusichert, dass weder Datenintegrationen noch Visualisierungen ohne Quellenangaben Rechtsrisiken schaffen).

Das Problem aller komplexeren Abfragen in ein und derselben Tabelle ist, dass sie nicht nur jeweils neue Spalten schaffen, sondern die Tabelle tendenziell verlängern, da Mehrfachnennungen in einer Rubrik in weiteren Zeilen zur selben Person wiedergegeben werden. Die praktische Nutzung der Datenbank besteht darum nicht in der Tabelle, die alle nur denkbaren Parameter in ein einziges Datenblatt bringt, sondern in gezielten Suchen, die eine ganz bestimmte Visualisierung oder statistische Befragung vorbereiten.

Eine Reihe von Visualisierungen – etwa in Netzwerken, Landkarten, Balkendiagrammen oder Bubble Charts, die quantitative Volumina sichtbar machen – lassen sich dabei noch ohne weitere Installationen von Werkzeugen im Query Service vornehmen. Sie sind oft schon allein praktisch, da sie aufscheinen lassen, wo eine spezifische Forschung ansetzen sollte: So eröffnet der Wikipedia-Artikel zum Gymnasium Illustre <https://de.wikipedia.org/wiki/Ernestinum_Gotha> seinen Abschnitt zur „Blütezeit des Gymnasiums“ – die Perspektive gilt unmittelbar Ernst dem Frommen – mit der Feststellung, dass er den „Söhnen verfolgter Lutheraner aus Ungarn, Schlesien, Polen, Russland und Skandinavien Asyl“ bot. Mit der Datenbankabfrage der Geburtsorte und deren Projektion auf der Landkarte wird sichtbar, welchen Fällen hier nachzugehen ist. Skandinavien zeigt sich nur mit den schleswig-dänischen Gebieten vertreten, das Baltikum mit traditionell deutsch besiedelten Städten.

Abb.1: Einzugsgebiet des Gothaer Gymnasiums Illustre/ Ernestinum, https://tinyurl.com/yezpgqds

Schlesien erweist sich dagegen als prominentes Einzugsgebiet. In die Landkarte lässt sich hineinzoomen, jeder angezeigte Treffer lässt sich anklicken und leitet direkt in die Datenbankobjekte (vergleichsweise mühsam wäre es, gegenüber der Karte eine Liste nach Schlesischen Orten zu durchkämmen – man sieht Ortsnamen nicht unmittelbar an, wo diese Orte liegen). Komplexere Visualisierungen lassen sich mit dem Datenexport in Softwareumgebungen wie Kepler.gl vornehmen. Paul-Olivier Dehaye demonstrierte das mit einer dynamischen Visualisierung der Illuminatenkorrespondenz.[7]

Netzwerkanalysen sind im Moment noch vergleichsweise uninteressant: Gute 100 der 4230 Schüler sind mit Aussagen zu Mitgliedschaften und Teilnahmen an Ereignissen wie dem Wartburgfest 1817 notiert – dieses allein zieht 21 Treffer auf sich bei einer eher kursorischen Erfassung von Ereignissen, die in den Prozess der Entstehung der deutschen Burschenschaften gehören und durch Martin Gollasch erhoben wurden.

Wenig überraschend, doch nun klar quantifizierbar sind die Angaben zu den besuchten Bildungseinrichtungen. Sie bringen (neben Gothas Gymnasium) die weiterführenden Universitäten in den Blick: Direkt nach der Reformation war Wittenberg der natürliche Studienort. Mit der Gründung der von Gothas Herzögen mitfinanzierten Universität Jena veränderte sich diese Lage; es entstand eine Universität für die Landeskinder. 195 Schüler sind mit Wittenberg als Studienort notiert, 472 mit Jena. Abgeschlagen folgen Leipzig mit 53, Halle mit 46 und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – rasch anhebend – Göttingen mit 44 Listungen.

Im Moment mit Vorsicht zu erfassen sind die Angaben zu den Studienfächern. In der frühen Neuzeit sind das in der Regel Angaben zu den vier Fakultäten. Dass die Theologie hier an erster Stelle steht, hat vor allem damit zu tun, dass Gothas Pfarrerbuch den Datensatz durchdringt. Für 1.038 der Absolventen ist Theologie notiert; für 606 Jura, für 129 Medizin, 122-mal die philosophische Fakultät. Im 19. Jahrhundert fächert sich dieses Spektrum auf. Die genaue Auffächerung bietet die nachfolgende Datenbankabfrage.

Sehr viel schwieriger ist es, ein Bild der Karrierewege zu geben. Zu mehr als 1.300 der Schüler bietet die Datenbank die diesbezüglichen Angaben – im Fall der Pfarrer auch mit datierten Dienstverhältnissen. Die Herausforderung liegt in der statistischen Auswertung. Theoretisch könnten wir beliebige Auswertungen inmitten der Datenbank vornehmen – etwa eine Gliederung der Berufsangaben nach Bereichen wie Verwaltung, Kirche, Militär, Handwerk, Handel. Die Voraussetzung jeder solchen Aufschlüsselung ist jedoch, dass die nicht ganz 4700 Berufsangaben, die (derzeit) im System mehrsprachig verwaltet werden, zu diesem Zweck konsistent mit den Aussagen belegt sind, die dann in eigenen Spalten angezeigt und statistisch ausgewertet werden können. Unsere Karriere-Statements sind im Moment nicht weiter mit Aussagen belegt. Das hat vor allem damit zu tun, dass hier ein überaus komplexes Problemfeld liegt. Katrin Möller, Datenbank-affine Kollegin an der Universität Halle, untersucht seit Jahren, wie sich deutschsprachige Karriere-Aussagen über den Zeitraum von 1680 bis 1830 hinweg wandelten – ob in Entwertungen der Bezeichnungen oder im Wandel der Berufsfelder, der mit der Industrialisierung an Dynamik gewann. Spannend wäre es, die Systematiken, die sie erstellte, auf die bei uns getätigten Statements zu projizieren. Jede hausgemachte Klassifizierung dieses Geländes wird vergleichsweise unprofessionell sein.

Die folgenden Links bieten die Abfrage der „Karriere-Aussagen“ und Aussagen zu den beruflichen Positionen, ohne allerdings eben weiter in die Tiefe der hier denkbaren Kategorisierungen zu gehen:

Fragen in die Vernetzung der Information hinein stellen

Zum Reiz von Wikibase gehört, dass man bei dichter werdender Datenlage sehr schnell Fragen an die Datenbank stellen kann, auf die man es bei der Eingabe der Aussagen durchaus nicht angelegt hat. Wir haben Personen erfasst und zu diesen die Eltern, Ehefrauen und Kinder notiert. Sie alle erhielten eigene Datenbankobjekte (oder hatten bereits Datenbankobjekte, auf die nun verlinkt werden konnte). Wikibase erlaubt es, die auf den verlinkten Gegenständen liegenden weiteren Informationen in Suchen einzubeziehen.

Eine der Fragen, die sich damit jetzt schon stellen lässt, ist die nach der sozialen Herkunft der Schüler. Konkretisiert wird sie im Wesentlichen als Frage nach Ausbildung, Beruf und Arbeitsverhältnissen des Vaters – eine Frage, die mithin an die als Väter verlinkten Items zu richten ist. Die Mütter waren in der Regel Hausfrauen, womit bei ihnen eher die Frage zu stellen wäre, aus welchen Familien sie kamen. Dies wiederum wäre eine Information, die aus den Datenbankobjekten zu ziehen ist, die bei den Müttern als deren Väter notiert sind. Das dazu benötigte Suchskript lässt sich frei formulieren und erlaubt es, eine Tabelle zu erzeugen, in der nun Berufe der Schüler auf einer Linie mit den Aussagen zu Bildung und Berufen der Väter und der Väter der Mütter stehen:

  • Schülerliste familiäre Hintergründe: Bildung und Berufe der Väter und der Väter der Mütter Kurzlink

Ein Defizit bleibt dabei, dass wir die Berufe im Moment nicht mit tiefergreifenden und auswertbaren Kategorisierungen verbunden haben. Indes können wir nun Fall für Fall sagen, wo Gothaer Gymnasiasten sich in den familiären Karrieregefügen bewegten, und wo – vielleicht – die Schule ganz eigene Karrieremöglichkeiten eröffnete. Wir können erfassen, in welchen Fällen die Väter dieselbe Schule besuchten, und untersuchen, ob sich die Karriereoptionen im Prozess der Industrialisierung flexibilisierten. Wie geschah der Wandel? Stiegen Söhne aus den Karrierewegen der Väter aus, als sich die Schule im Prozess der Industrialisierung und des aufkommenden Nationalstaates zu einem Karrieresprungbrett entwickelte? Oder bestand das Novum darin, dass noch im Vorfeld der Industrialisierung nun plötzlich Kinder aus bislang unterprivilegierten Elternhäusern an die Schule gingen, bevor sie danach aus den Geschäften ihrer Eltern aufstrebende Firmen machten?

Die Datenbank wurde von uns nicht „programmiert“, um an sie derartige Fragen stellen zu können; sie erlaubt die Fragen, da sie ohne Vorstrukturierung Daten vernetzt, die nun offen befragt werden können.

Der ungehobene Schatz

Alle Recherchen im FactGrid lassen sich sowohl mit als auch ohne ein Nutzerkonto ausführen – es gibt keine nur intern sichtbaren Bereiche. Das Nutzerkonto eröffnet jedoch weitreichende Möglichkeiten, eigene Daten einzustellen sowie Suchen in Feedback-Schleifen durchzuführen, sprich nach Sicht auf ein Suchergebnis Aussagen zu differenzieren und zu kategorisieren, um danach weiterführenden Aussagen machen zu können. Wir sind ausgesprochen an der produktiven Nutzung interessiert, an der Entwicklung der Information in der Hand derer, die als Nutzer am besten wissen, welche Bedeutung spezifische Informationen haben können.

Vor allem aber sollte es interessant werden, die hier angebotene Vorarbeit Heino Richards in der unmittelbaren Arbeit mit der Aktenlage zu nutzen: Es ist von nun an einfach, Namen, die in den Archivalien auftauchen, unmittelbar auf dem Bildschirm zu bringen und die Hintergrundinformationen zu ihnen abzurufen. Die Schüler und Lehrer sind breit erfasst, Datenbankobjekte müssen nicht mehr neu angelegt werden und können nun vergleichsweise einfach mit weiterführenden Informationen angereichert werden.

Besonders spannend im Hinblick auf die Datenlage zum alten Gymnasium werden dabei wohl die historischen Zeugnislisten werden – nicht nur, weil sich hier die jährlichen Leistungen und Charakternotizen später berühmt gewordener Schüler wie z. B. August Hermann Francke dokumentiert finden – dessen Name taucht übrigens in den Absolventenlisten nicht auf, da er nur kurz das Gymnasium besucht hat und dann von Privatlehrern weiter auf die Universität vorbereitet wurde.

Hier liegt vor allem eine Datenlage vor, der man sich kaum ohne eine Datenbank wird nähern wollen – eine Datenlage der Tabellen von Namen mit Spalten der Beurteilungen. Spannend sind diese Tabellen in ihren sich entwickelnden Beurteilungsrastern wie in den variierenden Aussagen, die die Rubriken füllen. Beides, die Kriterien wie die Bewertungsoptionen, können wir im Wortlaut an der Dokumentenlage entlang modellieren, da sich beliebige Properties und Items für Urteile bilden lassen (und mit weiteren Aussagen belegen lassen). Wandelten sich die Erziehungsziele und die Urteile mit den Schulprogrammen und unter den berühmt gewordenen Reformern? Wie sind die Perspektiven der Lehrer zu bewerten? Korrelieren sie mit den späteren Berufserfolgen? Erweisen sie sich vom Blick auf die Elternhäuser geprägt? Änderten sich Bewertungen, wenn neue Lehrer Schüler übernahmen? Änderten sie sich im Verlauf epochaler Transformationen? Man wird dergleichen Fragen stellen können, wo immer die Daten dazu verknüpft eingepflegt sind. Das FactGrid sollte hier gerade für Experimente der Forschung offen sein.

Zeugnisliste des Gymnasiums Illustre aus dem Thüringischen Staatsarchiv Gotha mit den Beurteilungen August Hermann Franckes, des jüngsten Schülers der Selecta am Ende

Die Datenbankabfragen dieses Artikels als „Sample Queries“

  • Basissuche: einfache Schülerliste: Familienname, Listen-Nummer, GND-ID, Kurzlink
  • Landkartenrepräsentation Geburtsorte der Gothaer Schüler, Kurzlink
  • Besuchte Ausbildungseinrichtungen, Kurzlink
  • Besuchte Ausbildungseinrichtungen, Balkendiagramm
  • Universitäre Fächerwahl Kurzlink
  • Universitäre Fächerwahl Bubble Chart
  • Karrieren Kurzlink
  • Berufliche Positionen Kurzlink
  • Familiäre Hintergründe: Berufe der Väter und der Väter der Mütter, Kurzlink

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Hierzu gibt es seit 2018 ein von Lutz Schilling erarbeitetes elektronisches Findbuch in: Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha, https://www.archive-in-thueringen.de/de/findbuch/view/bestand/21019.
2 Bernhard Möller (etc.),Thüringer Pfarrerbuch, Vol. 1: Herzogtum Gotha, hg. Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte (Neustadt an der Aisch, 1995), siehe hierzu Olaf Simons, Der erste Band des Thüringer Pfarrerbuchs (1500–1920) als Wikibase-Datensatz, 19. Mai 2019, https://blog.factgrid.de/archives/1923.
3 Das Memorandum of Understanding dazu veröffentlichten wir am 23. August 2017 im FactGrid Projektblog: https://blog.factgrid.de/archives/118.
4 Siehe Lydia Pintscher/ Lea Voget/ Melanie Koeppen/ Elena Aleynikovahttps, Strategy for the Wikibase Ecosystem August 2019, S. 9, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cc/Strategy_for_Wikibase_Ecosystem.pdf
5 Siehe „Memorandum of Understanding zwischen der Universität Erfurt und der Deutschen Nationalbibliothek – das FactGrid wird in einem Gemeinschaftsprojekt auf GND-Daten aufgesetzt“, FactGrid Projektblog, 9. April 2019, https://blog.factgrid.de/archives/1475.
6 Eine bebilderte Anleitung, wie der QueryService zu bedienen ist, gebe ich hier: https://blog.factgrid.de/anleitung-datenexport
7 Siehe Olaf Simons „The Illuminati Correspondence Fast Forward“, 21. September 2019, https://blog.factgrid.de/archives/1695.