Die Schulwandbilder aus den Sammlungen der Stiftung Pestalozzianum sind vor Kurzem digitalisiert und online gestellt worden. Diese (historischen) Unterrichtshilfen stellen heute ein eigenes Forschungsgebiet dar, das sowohl kunstwissenschaftliche und kulturgeschichtliche als auch bildungsphilosophische und didaktisch-medienpädagogische Fragestellungen umfasst.
Durch ihre Digitalisierung bietet die Schulwandbildersammlung die Möglichkeit, bereits bestehende Forschung durch bisher unbekannte oder seltene Bilder zu erweitern. Die zahlenmäßig größten Konvolute bilden die deutschen und schweizerischen Schulwandbilder. Da die Sammlung Bilder aus 11 weiteren Ländern enthält, können auch vergleichende Studien interessant sein.
Im Bereich der Schulwandbilder aus der Schweiz gibt es – mit Ausnahme des Schweizerischen Schulwandbilderwerks – zurzeit noch sehr wenig Forschungsliteratur. Dies gilt sowohl für die Künstler:innen, Themen und Techniken, als auch für die Verlage, von denen die Bilder herausgegeben wurden. Von Interesse sind auch die Luftaufnahmen der Swissair. Mit ihrer Hilfe können landschafts- und siedlungsplanerische Aspekte beleuchtet werden.
Die Sammlung ist hier abrufbar: https://sammlungen.pestalozzianum.ch/schulwandbildersammlung
Eigenschaften und Spezialitäten der Sammlung
Von den insgesamt 2679 Schulwandbildern stammen 1112 aus der Schweiz, 1272 aus Deutschland und 295 aus anderen Ländern. Die Sammlung enthält Einzelbilder aus Serien, die in nur wenigen bekannten Sammlungen vertreten sind. Außerdem sind drei Schwerpunkte auszumachen:
1. Bilder aus den großen deutschen Verlagen der Blütezeit (1870-1920)
Durch das Aufkommen der Lithografie-Technik um 1800 wurde es möglich, Bilder kostengünstig zu reproduzieren . Oft dienten Gemälde als Vorbilder, die z.T. für den pädagogischen Gebrauch angepasst wurden. Bald begannen die Verlage aber auch, Kunstschaffende eigens für die Herstellung von Schulwandbild-Motiven zu beauftragen. Im Bereich der Lehrmittel wurden in der Anfangszeit nicht selten Bilder aus Schulbüchern zusätzlich als Schulwandbilder reproduziert. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Loslösung von den Schulbüchern hin zu einem selbstständigen Unterrichtsmittel .
Abb. 1: Das Schulwandbild «Gustav Adolf im Gebet vor der Schlacht bei Lützen 1632», nach einem Ölgemälde von Louis Braun, erschienen bei Piloty & Loehle, München, um 1890 (SWB_2-710).
Abb. 2: Das modifizierte Schulwandbild «Gustav Adolf im Gebet vor der Schlacht bei Lützen 1632», erschienen bei F. E. Wachsmuth, Leipzig, um 1910 (SWB_1-900) (Es fehlen die Getöteten, das Schwert in Gustav Adolfs Hand und der Lichtstrahl vom Himmel) .
Die zwei größten Konvolute aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammen aus den Verlagshäusern C.C. Meinhold (141 Bilder) und F.E. Wachsmuth (144 Bilder). Bei den dargestellten Inhalten handelt es sich um Themen aus Märchen, Zoologie, Anatomie, Botanik, Technologie, Kulturgeschichte und Kunst.
Im Bereich der (geografischen) Schulwandkarten war der Verlag von Justus Perthes marktführend. In der Schulwandbildersammlung des Pestalozzianums finden sich aber lediglich sechs Bilder dieses Verlags, da es für Schweizer Landkarten inländische Anbieter gab.
2. Das Schweizerische Schulwandbilderwerk (1936-1995)
Bereits Anfangs des 20. Jahrhunderts wurde in Schweizer Lehrpersonenkreisen der Wunsch nach einheimischen, qualitativ guten Schulwandbildern geäußert. Jedoch stammte die Mehrzahl der Bilder, die in schweizerischen Schulzimmern hingen, aus Deutschland. Im Zuge der Wirtschaftskrise und der beginnenden ‘geistigen Landesverteidigung’ wurde in den 1930er Jahren das Schweizerische Schulwandbilderwerk (SSW) gegründet. Es setzte sich aus Vertreter:innen des Eidgenössischen Departements des Inneren, dem Schweizerischen Lehrerverein und der eidgenössischen Kunstkommission zusammen. Für ein Bild wurden jeweils drei bis vier geladene Künstler aufgefordert, ihre Entwürfe zu einem vorgegebenen Thema abzugeben, woraufhin die Kunstkommission den Auftrag vergab (; ; ; ).
Die dargestellten Themen auf den Bildern der 1930er Jahre zeugen davon, dass die Politik neben Radio und Film nach weiteren «medialen Voraussetzungen einer Geistigen Landesverteidigung» suchte und so auch bei den Schulwandbildern angekommen war. Inhaltliche und ästhetische Schwerpunkte waren u.a. heimische Landschaften und Natur, Brauchtum, Architektur, Wirtschaft und Schweizer Geschichte .
Abb. 3: Bergdohlen, Schweizerisches Schulwandbilderwerk, 1936 (SWB_1-006).
Abb. 4: Belagerung von Murten, Schweizerisches Schulwandbilderwerk, 1939 (SWB_1-023).
Bis ins Jahr 1995 veröffentlichte das Schweizerische Schulwandbilderwerk 254 Bilder, die jeweils von einem Kommentar begleitet wurden. Die Abnahme der Bilder war für die Schulen fakultativ; viele bezogen sie im Abonnement. Das Pestalozzianum verfügt über die komplette Sammlung sowie die dazugehörigen Kommentare.
3. Die Luftbilder der Swissair
Für einige der führenden deutschen Verlage bedeutete der Zweite Weltkrieg das Ende ihrer Schulwandbilderproduktion (; ). Dadurch entstand auch in der Schweiz eine Lücke, die – zumindest für das Pestalozzianum – bis Anfang der 1960er Jahre andauerte. Beschädigte Schulwandbilder konnten nicht mehr ersetzt werden und man machte sich auf die Suche nach neuen Bezugsquellen . Die aus der Schweiz stammenden Schulwandbilder des Pestalozzianums verteilen sich auf viele verschiedene Verlage und Herausgeber:innen mit oft nur einem oder ein paar wenigen Schulwandbildern. Es handelt sich oft um Kleinverlage oder Kooperationen von Lehrervereinen mit staatlichen Stellen oder Firmen und Wirtschaftsverbänden.
Zumindest für das Fach Geografie ergab sich ab 1957 eine neue Bezugsquelle: Die Luftbilder der Fluggesellschaft Swissair. Über mehrere Jahrzehnte wurden Bilder von typischen Landschaften der Schweiz und aller 26 Kantonshauptstädte erworben. Insgesamt sind heute 472 Flugaufnahmen der Swissair-Photo AG in der Sammlung Pestalozzianum erhalten. Zwar wurde ab den 1970er Jahren das Schulwandbild als Unterrichtsmittel allmählich durch Diapositive verdrängt, aber da die Swissair ab 1982 auch farbige Luftbilder druckte, lebte das Schulwandbild nochmals für kurze Zeit auf .
Die Sammlungen Pestalozzianum, die Forschungsbibliothek und das Projekt
Die Sammlungen der Stiftung Pestalozzianum sowie die Forschungsbibliothek Pestalozzianum sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen Sammeltätigkeit, deren Anfänge auf die im Jahr 1875 gegründete Schweizerische permanente Schulausstellung zurückgehen. In seiner Geschichte fungierte das spätere Pestalozzianum einerseits als ein Zentrum für die Pestalozziforschung, andererseits baute es eine Bibliothek mit Lehrmitteln auf. In den 1950er Jahren wurde das Pestalozzianum zudem zu einer Fortbildungsstätte für Lehrpersonen ausgebaut, die im Auftrag des Kantons Zürich agierte .
Im Rahmen des Projekts «Sammlungen Pestalozzianum: Erschließung, Erhaltung und Nutzung des Sammlungsgutes», das vom Gemeinnützigen Fonds des Kantons Zürich finanziert wurde, konnten zwischen 2015 und 2022 zahlreiche bestandserhaltende Massnahmen realisiert, sowie die Erschließung der Bildersammlungen und Lehrmittel und deren Digitalisierung vorangetrieben werden.
Die Schulwandbildersammlung war bereits im Jahr 2007 von der Bildungshistorikerin Ina Uphoff (Universität Würzburg) begutachtet worden. Sie schätzte den Bestand auf 3000 Bilder und stellte ein breites Spektrum fest, das für die bildungshistorische Forschung interessant ist.
2018 nahm das Teilprojekt Schulwandbilder mit eigener Projektleitung seine Arbeit auf. Zuerst erfolgte eine Bestandesaufnahme mit gleichzeitiger restauratorischer Begutachtung, Aussortierung von Dubletten und Trockenreinigung. 74 Bilder wurden restauriert und extern zur Digitalisierung gegeben. Nach der Rückgabe der Bilder wurden diese sachgerecht eingelagert.
Abb. 5: Lagerung der Schulwandbilder heute.
Die Digitalisate wurden anschließend in das Archivinformationssystem «Access to Memory» (AtoM) eingestellt und nach Ländern und Verlagen geordnet. Die Erschließung der inhaltlichen und formalen Metadaten erfolgte nach den Rules for Archival Description (RAD). Erfasst wurden, wo vorhanden, Titel, Verlag, Zeitraum, Ort, physische und archivische Beschreibung, Urheber:innen, Zugangsbeschränkungen, Signatur und ggf. externe Quellen.
Insgesamt befinden sich nun die Digitalisate von 2679 Schulwandbildern und 309 zeitgenössischen Kommentaren in der Datenbank. Aus urheberrechtlichen Gründen sind nur die schweizerischen Schulwandbilder öffentlich einsehbar. Von jenen aus anderen Ländern sind lediglich die Metadaten öffentlich. Für die Einsicht in die Digitalisate zu Forschungszwecken kann aber ein temporärer Zugang zur internen Instanz gewährt werden. Für alle Schulwandbilder gilt der Urheberrechtsschutz der jeweiligen Ursprungsländer.
Die Datenbank ist vorerst nur über die Webseite der Stiftung Pestalozzianum abrufbar (https://sammlungen.pestalozzianum.ch). Nach Abschluss des Gesamtprojekts wird sie auch auf der Seite der Forschungsbibliothek Pestalozzianum verlinkt sein. Außerdem ist geplant, die Daten in den Verbundkatalog der Swiss Library Service Platform (SLSP), dem die Forschungsbibliothek angeschlossen ist, einzuspeisen und auch auf Archives Online (AIS) sichtbar zu machen.