Prävention ist ein moderner Modus der Zukunftsgestaltung. Vor allem seit der biopolitischen „Entdeckung“ der Bevölkerung als einer zu hegenden Ressource staatlicher Stärke im 18. Jahrhundert intensivierte sich der vorauseilende Schutz vor unerwünschten Entwicklungen . Krankheit wurde mit diesem Konstrukt der Versicherheitlichung zum (klassistisch gedeuteten) politischen Problem eines besorgten Bürgertums . Gesunde Körper – Schönheit, Funktions- und Leistungsfähigkeit oder besser die jeweils hegemonialen Vorstellungen der Norm – wurden im Kontext einer explodierenden Ratgeberliteratur zum Signum eines erfolgreichen bürgerlichen Selbstmanagements . In diesem Zusammenhang wurde auch Gesundheitsaufklärung eine Form einer vor ersten Erkrankungszeichen einsetzenden und das Individuum mit seinen Überzeugungen und Motivlagen anvisierenden Prävention. Daher lässt sich an ihr auch eine exemplarische Kulturgeschichte moderner Bevölkerungs- und Sozialpolitik erzählen, in der der Fokus auf der Verschränkung von Bildung und Gesundheit liegt .
Gesundheitsaufklärung ist eine kommunikative Präventionsform, die vom Glauben angetrieben ist, durch Belehrung, Erziehung oder Aufklärung, unerwünschte Zukünfte (Erkrankungen) verhindern zu können. Mit dem Ziel, Verhaltensweisen über populäre – anschauliche – Information in eine Richtung zu ändern, die den historischen Vorstellungen von Gesundheit und der Verhütung ihrer Bedrohungen entspricht, kann Gesundheitsaufklärung als eine vergleichsweise diskrete Präventionsweise gelten. Diskret ist sie aus zwei Gründen: Erstens rationalisiert sie ihre Existenz häufig als kommunikatives Angebot und damit als potenzielle und fürsorgliche Hilfe zur Selbstbestimmung und selten als kommunikative Verhaltensnormierung. Zweitens individualisiert sie zumeist die Verantwortung für Gesundheit und lenkt den Blick weg von den strukturellen Bedingungen von Gesundheit – sie entpolitisiert. Gesundheitsaufklärung oszilliert damit (von unterschiedlichen historischen Kontexten je spezifisch ausgeformt und im Namen der Gesundheit) zwischen Disziplinierung und Empowerment.
Museale Gesundheitsaufklärung: Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden und das Deutsche Gesundheits-Museum Köln
Um 1900 fand eine solche öffentliche Kommunikation über Gesundheit und Krankheit, über die Anatomie und Physiologie menschlicher Körper ihr Massenmedium in der Ausstellung. Visualisierungsoptionen trafen in diesen Medien, die aus Messen herrührten, auf Unterhaltungsinteressen; die Möglichkeit, Körperwissen zu vermitteln auf die Chance, viele Menschen zu erreichen . Als örtlich und zeitlich begrenztes Medium lief eine didaktische Wissensobjekte präsentierende Ausstellung aber Gefahr, in der Zeit verloren zu gehen. Eine Institutionalisierungsform tat not. Hier überkreuzten sich zwei Entwicklungen: „Ausstellungsexpansion“ und „Museumsreform“. Es entstanden aus der thematisierten Notwendigkeit technisch-wissenschaftlicher Wissensvermittlung und der Überzeugung, durch eine solche Bildung Herausforderungen der Gegenwart zu lösen, „problemorientierte Fachmuseen, die sich dem Themenkreis Mensch – Gesundheit – Technik widme[te]n. [Sie verbanden] die Information und Schulung von Besuchern mit der messeähnlichen Funktion und den Aufgaben von Prüfanstalten“ . In Berlin wurden ein Hygiene- und Sozialmuseum sowie die Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt, in München 1906 das noch heute bekannte Deutsche Museum gegründet (; ). Diese Museen rekurrierten auf einen „lernwilligen und mobilen Beobachter, der vom schnellen Wechsel und der Vielfalt der dargebotenen Gegenstände fasziniert“ werden konnte . Und sie waren zugleich Antworten auf die Debatte, wie ein zeitgenössisches Museum auszusehen hatte .
In dieser Gemengelage wurde Gesundheitsaufklärung in Dresden institutionalisiert. Zentraler Markstein in diesem Prozess war die I. Internationale Hygiene-Ausstellung, die 1911 in Dresden stattfand.
Abb. 1: Hygiene-Auge; Franz von Stuck 1911. Quelle: Wikipedia (gemeinfrei).
Aus den Netzwerken, die hier geknüpft, und den Exponaten, die hergestellt und präsentiert worden waren, bildete sich das Deutsche Hygiene-Museum Dresden, das sich in den folgenden Jahren als modernes Sozialmuseum und gleichzeitig wichtige dienstleistende Instanz der „hygienischen Volksbelehrung“ etablierte. War aus professionspolitischen Gründen eine zu populäre Gesundheitsaufklärung in einigen ärztlichen Kreisen unerwünscht, so gab schließlich der Besuchererfolg den Befürwortern einer auch mit Instrumenten der Unterhaltung und Werbung arbeitenden Aufklärung über medizinische und hygienische Sachverhalte recht . Auf Verstetigung zielend setze das Hygiene-Museum in ökonomisch und politisch turbulenten Zeiten auf Wanderausstellungen und Lehrmittel. Georg Seiring (1883–1972), ehemaliger Privatsekretär des Museumsmäzens und Odol-Fabrikanten Karl August Lingner (1861–1916), gelang es in den Krisen der 1910er bis 30er Jahre, einen „Hygiene-Konzern“ zu schaffen, der unterschiedliche Interessen bedienen konnte. Diese kamen vor allem aus dem Medizinal- und Bildungswesen auf kommunaler, regionaler und reichsstaatlicher Ebene sowie von zivilgesellschaftlichen Akteuren der Wohlfahrt und Sozialreform .
Die Wanderausstellungen des Hygiene-Museums, bestückt mit eigens produzierten und kompilierten Ausstellungsstücken und Lehrmitteln – Plakate, Präparate, Modelle, Moulagen, Schauobjekte, Tafeln, Lichtbilder, Filme oder Maschinen –, tourten nicht zuletzt mit explizit rassenhygienischen Botschaften bis 1944 durchs Deutsche Reich und Europa (; ). Und schon ein Jahr nach Kriegsende wurden „die Laien“ wieder über ihren Körper und die Bedingungen seiner Gesundheit und Erkrankung belehrt.
Mit dem deutschen Staat spaltete sich auch das Museum. 1946 wurde das Dresdner Museum verstaatlicht, 1949 das Deutsche Gesundheits-Museum vom langjährigen Leiter des Museums in Dresden, Georg Seiring, in Köln gegründet . Aus dem Kölner Museum sollte schließlich 1967 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hervorgehen .
Die kurze Renaissance der Hygienischen Volksbelehrung
Gesundheits- und Hygiene-Museum knüpften nach 1949 gleichermaßen an das an, was am besten beherrscht wurde: Sie produzierten, präsentierten und vertrieben Medien der Gesundheitsaufklärung und amalgamierten damit eine anschauliche Gesundheitsaufklärung mit visueller Gesundheitspropaganda. Im Modus der hygienischen Volksbelehrung hatte Gesundheitsaufklärung darauf aufgebaut, dass zu Ausstellungen kompilierte und gerahmte Exponate das Wissen der Physiologie, Anatomie und Hygiene so anschaulich und verständlich machen, dass eine Anverwandlung des Wissens handlungsleitend wirken würde. Die Lücke zwischen Informieren und Handeln wurde dabei mit der Annahme der Ehrfurcht gegenüber einem gleichermaßen organisch wie mechanisch gedachten Ordnungssystem überbrückt. In diesem waren die „körperliche Organisation“ mit der von Rudolf Virchow (1821–1902) geprägten Metapher des „Zellenstaats“ über das Tertium Comparationis der funktionalen Arbeitsteilung kurzgeschlossen . Die Besucher*innen sollten die „strenge Zweckgesetzlichkeit und die ideale Vollkommenheit aller in diesem Organismus begreifen lernen und so eine unerschöpfliche Erkenntnisquelle für die Erforschung der Gesetze sozialer Entwicklungen finden“ . Eingebettet war diese Überlegung in eine zeitgenössisch intensiv geführte Debatte um die Notwendigkeit und Möglichkeit der Sozialwissenschaften, als Anwendungswissenschaft Wege zum gesellschaftlichen Fortschritt aufzuzeigen. Diese Debatte drehte sich auch um den Begriff der Ökonomie. Eine Orientierung am Ökonomieprinzip der Effizienz, der nicht nur der Wiener Soziologe Rudolf Goldscheid (1870–1937) das Wort redete, sondern auch die Arbeitswissenschaftler der Zeit, sollte zu einer „rationalen“ und „zweckmäßigen“ individuellen und aggregiert kollektiven Leistungsverbesserung führen . Das Wasser aus der damaligen Diskussion um die Möglichkeiten einer wissenschaftlich rational angeleiteten Gesellschaftsverbesserung durch mehr Effizienz führte Lingner somit auf die Räder, die seine Museumsidee antrieben . Und wenig versinnbildlichte das Versprechen der Optimierung des kollektiven Körpers über die Verbesserung des individuellen, das einzulösen die hygienischen Volksbelehrung für sich reklamierte, als die makellosen Menschen, die als Ikonen das Dresdner Museum in die Zentren ihrer Präsentationen rückte.
Abb. 2: Statue vor der „Populären Halle“ auf der Ersten Internationalen Hygiene-Ausstellung, Dresden 1911. Quelle: Sammlung Deutsches Hygiene-Museum Dresden, DHMD 2001/195.32.
Aber nicht nur die Träume des gesellschaftlichen Fortschritts unterbauten die Wirkungsannahme der hygienischen Volksbelehrung, sondern auch eine sehr konkrete Subjektvorstellung. In dieser konnte sich das Subjekt aus emotionalem wie rationalem Antrieb heraus gesund verhalten, sobald es Gesundheit als Kern eines Lebensgesetzes verstanden hatte, das individuelle wie kollektive Ordnungen bestimme. Dafür arbeiteten die hygienischen Volksbelehrer*innen zwar mit Instrumenten der Unterhaltung und der visuellen Metaphorik, indes blieben diese eingebettet in ein Top-Down-Modell der Wissensvermittlung. Sowohl die Wissensbedürfnisse der Adressat*innen als auch die Prozesse der Wissensproduktion blieben in den durchaus hinsichtlich ihrer je spezifischen Wirkungen reflektierten und entsprechend differenziert angewendeten Medien(sets) unausgesprochen .
Ordnungspolitische Updates: Hygienische Volksbelehrung links und rechts des Eisernen Vorhangs
Die beiden Museen passten in der Praxis die Tradition der hygienischen Volksbelehrung an die neuen soziopolitischen Referenzsysteme an. So wurde es eine explizite Aufgabe des Museums in Dresden, in seiner Vermittlungsarbeit die geschichtspolitisch begründete moralische Überlegenheit des sozialistischen Gesundheitswesens zu bewerben, indem es eine apolitische, humanistische Sorge um die bestmögliche Gesundheit Vieler als DDR-Realität reklamierte.
Abb. 3: Ausstellungsplakat aus der Ausstellung „Geheimnisse des Lebens“ 1957. Quelle: Sammlung Deutsches Hygiene-Museum, DHMD 2021/703.103.
Eine materialistische Interpretation des Behaviorismus nach Pavlov sowie das Leitbild der sozialistischen Persönlichkeit unterbauten diese Deutung. In den neuen, sozialistischen Menschen sollten die subjektiven Handlungsmaximen den Prinzipien der von der SED gestalteten Gesellschaftsordnung entsprechen: In einer gesunden Gesellschaftsordnung konnte es nur gesunde Menschen geben; und wenn dem nicht so war, mussten Anpassungs- oder Verständnisfehler auf der Seite der Subjekte vorliegen, die es vonseiten der Gesundheitsaufklärung zur beseitigen galt .
Das Kölner Museum bebilderte hingegen in den 1950er Jahren eine konservativ-religiöse, gesellschaftliche Selbstvergewisserung der dreifachen Abgrenzung: Eine lebensphilosophisch-christliche Verwurzelung sollte gegen das Gift des Materialismus aus dem Osten immunisieren, die als seicht interpretierte US-dominierte, konsumorientierte (Unterhaltungs)Zivilisation des Westens aus der Bundesrepublik fernhalten und die nationalsozialistische Vergangenheit überwinden. Gesundheit war in diesem Bild eine Frage des Charakters und der durch Modernität bedrohten sozialen Gemeinschaft – öffentliche Gesundheitspflege ein Akt des bereitwilligen, unpolitischen Dienens zum Wohl des Lebens und seiner Gesetze.
Abb. 4: „Ein Ja dem Leben“, 1951. Quelle: Broschüre, herausgegeben vom Deutschen Gesundheits-Museum Köln.
Das stach insbesondere in der ersten (und in der BRD einzigen) Großen Gesundheitsausstellung Ein Ja dem Leben heraus, die 1951 in den Kölner Messehallen stattfand und umfassend vonseiten des Gesundheits-Museums bespielt und von seinem Netzwerk organisiert wurde. Einzelne Objekte und Arrangements wurden dabei von der Ausstellung Wunder des Lebens von 1935 übernommen, freilich von Vorstellungen und Forderungen der Rassenhygiene bereinigt oder in eine christliche Eugenik umgerahmt . Und auch die Metapher des Zell(en)staats reüssierte im „Gesundheits-Atlas“ des Gesundheits-Museums.
Abb. 5: Tafel 1 aus dem „Gesundheits-Atlas“ .
Kritik und Krise: Das Update Gesundheitserziehung
Gegen Ende der 1950er Jahre geriet in beiden deutschen Staaten der Modus der hygienischen Volksbelehrung zunehmend in eine Krise: Eine museale und ausstellende Gesundheitsaufklärung galt als teuer, aufwendig und wenig zielführend – als nicht mehr zeitgemäß. Das hatte mehrere Gründe: Film und Fernsehen waren die Massenmedien der Zeit geworden. In der Epidemiologie wurden individuelle Verhaltensweisen, wie bspw. das Rauchen, als Risiken für die nunmehr wichtigen chronischen Erkrankungen (solche des Herz-Kreislauf-Systems und maligne Tumore) gerahmt. Die vorher vor allem im Zentrum stehenden Infektionserkrankungen rückten in den Hintergrund der medizinischen Problematisierungen der Bevölkerungsgesundheit. Die ausstellende Vermittlung anatomischen, physiologischen und hygienischen Wissens verlor durch beide Entwicklungen an Relevanz; die gesundheitsgerechte Beeinflussung individuellen Verhaltens sollte direkter erfolgen als durch reine Wissensvermittlung. Die Antwort lautete daher Erziehung, konkret: Gesundheitserziehung .
Dieses Update der hygienischen Volksbelehrung in Form der Gesundheitserziehung war im Kern eine Versozialwissenschaftlichung der Gesundheitsaufklärung, die in einem internationalen Professionalisierungsdiskurs nachdrücklich gefordert und praktiziert wurde. Gesundheitskommunikation mit dem Ziel der direkten und positiven Beeinflussung menschlichen Verhaltens war darin eine Frage der Public-Relations-Arbeit, die soziologisch und psychologisch reflektiert werden musste und Eingang in eine sozialpolitische Steuerung finden sollte. Eine Verhaltensprävention über öffentliche Kommunikation konnte nicht mehr auf die Annahme der Anverwandlung von anschaulich gemachtem Wissen vertrauen; sie musste Einstellungen, Motivationen, kognitive Dissonanzen, Gruppendynamiken und soziale Images verstehen und die Wirkung bei ihrer Modifikation empirisch (evaluativ) erforschen. Wurde Gesundheitshandeln als soziales Handeln konzeptualisiert, so wurde eine auf seine Veränderung zielende Gesundheitserziehung eine Frage des Social Engineerings .
Organisatorischen Niederschlag fand die Gesundheitserziehung 1967: Mit erheblicher personeller Erneuerung und budgetärer Expansion wurde das Gesundheits-Museum in Köln 1967 zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und damit zur Bundesbehörde für Gesundheitsaufklärung in einem umfassend veränderten Feld der Gesundheitsaufklärung verstaatlicht. Und auch innerhalb des Dresdner „Museums“ wurde Gesundheitserziehung im selben Jahr in einem eigenen Institut zusammengefasst und aufgewertet .
Aporien der Gesundheitserziehung und ihre Historizität
Was im Modus der Gesundheitserziehung sich niederschlug, war ein breiterer Wandel im Verständnis der Bildung von menschlichem Handeln. Es standen nun weniger die normative Begründung von Bildungskonzepten im Vordergrund als vielmehr sozialwissenschaftlich zu beforschende Bildungsrealitäten. Das eröffnete Potenziale zur Subjektivierung der gesundheitserzieherischen Norm. Wenn Gesundheitserziehung funktionieren sollte, so der Tenor der sozialpsychologischen Kritiken an der Gesundheitsaufklärung, musste sie die richtigen Zielgruppen auf adäquaten Kanälen und mit zielgruppenspezifisch aufbereiteten Botschaften ansprechen, die die Vorstellungen und Wünsche der entsprechenden Adressaten aufgriffen: Botschaft, Medium, Kommunikationskanal und Zielgruppe mussten zusammenpassen und eine Kommunikation des Vertrauens schaffen, in der auch die soziale Eingebundenheit von Kommunikation und Handeln beachtet wurde. Nur so konnte gesundheitsförderliches Verhalten die praktische und akzeptable Wahl werden und auf einen langsamen sozialen Wandel bauen, der das gewünschte individuelle Verhalten in den jeweiligen sozialen Kleingruppen/Settings absicherte/förderte. Auf diese Weise wurde einerseits die sozial determinierte Praktikabilität des angestrebten Verhaltens das Kriterium des Erfolgs. Andererseits verschärfte eine solche Flexibilisierung der Norm auch den Widerspruch zwischen Emanzipation und Zurichtung des individuellen Verhaltens im Namen der Gesundheit. Gesundheitshandeln wurde zwar als sozial beeinflusstes thematisiert, doch häufig beschränkten sich die einzelnen Aufklärungskampagnen darauf, Verantwortung für entsprechendes Handeln zuzuschreiben, nicht aber die Deutungshoheit über selbiges . Und die Wirkungsforschung der Kampagnen konzentrierte sich zunehmend auf andere, unmittelbarere Effekte als auf den Grad der Stärkung subjektiver Selbstbestimmung einer gelungen Lebensführung .
Abb. 6: Leuchtapparat aus der Wanderausstellung „Vom Rat zur Tat“, 1972–1973 des Deutschen Hygiene-Museums. Quelle: Sammlung Deutsches Hygiene-Museum, Leporello 54.
Dieser Befund der Verantwortungszuschreibung an die Einzelnen wider besseres Wissen der Gesundheitserzieher*innen trifft auch auf die DDR zu. Im sozialistischen Deutschland war darüber hinaus auch dem Leitbild der sozialistischen Persönlichkeit offiziell nicht zu widersprechen. Dieses Idealbild war nicht einzulösen, doch das Regime hatte einen Gutteil seiner gesundheitspolitischen Legitimität an dessen erfolgreiche Realisierung geknüpft. Die sozialen oder strukturellen Determinanten von Gesundheit und Krankheit zu thematisieren und damit zumindest indirekt Kritik an der sozialpolitischen Ordnung der DDR zu üben, war nicht vorgesehen und wurde entweder ignoriert oder sanktioniert .
Gesundheitsaufklärung, so das kurze Fazit, operierte in beiden deutschen Staaten im Grenzbereich widersprüchlicher Zuständigkeiten, Zuschreibungen und Zusammenhänge – und sie tut das noch heute. Gerade das macht sie zu einer heuristisch so gewinnbringenden Sonde, die historisch wandelbaren Verhältnisse von Selbst- und Fremdsteuerungszumutungen in der Beziehung zwischen Bürger*innen und Staat einerseits und zwischen individueller Lebenswelt und Wissensordnungen der Expert*innen historisierend auszuloten . Diesen Wandlungen in ihren komplexen und wechselwirkenden Kontexten nachzuspüren, trägt nicht nur dazu bei, vergangene Gesundheitsaufklärung besser zu verstehen. Zu sehen, welche Interessen, Vorstellungen und (begrenzte) Wissensordnungen wirkten, sollte uns auch resilienter machen für die nächste Großkrise der Bevölkerungsgesundheit und dem damit einhergehenden nächsten Anschwellen von Rat gebender Gesundheitskommunikation. In diesem Sinne ist die historische Aufklärung eine Übung in Gelassenheit gegenüber wohlgemeintem Rat in Sachen Gesundheitshandeln und damit selbst Gesundheitsaufklärung.