Editionen, Quellen, Thematische Sammlung

Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte – eine auch bildungshistorisch bedeutsame Quellen-Edition

Abb. 1: Moritz Daniel Oppenheim (1800–1882): Das Purim-Fest, Öl auf Leinwand 1873. Quelle: Wikipedia (gemeinfrei).

Die Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte sind eine digitale Edition von Quellen zur deutsch-jüdischen Geschichte. In den ersten Jahren unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, werden sie vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) in Hamburg herausgegeben und sind Teil des entstehenden Portals Jüdische Geschichte online, das gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam entwickelt wird und weitere Editionen umfassen soll. Die überaus ansprechend und benutzerfreundlich gestaltete Online-Edition der Hamburger Schlüsseldokumente konzentriert sich auf zentrale Aspekte der jüdischen Geschichte Hamburgs, und zwar von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Die Quellen können über Themen, eine Karte und einen Zeitstrahl recherchiert werden. Bildungsgeschichtlich bedeutsam ist die Edition nicht zuletzt wegen des Thementeils Erziehung und Bildung, den die Verfasserin des vorliegenden Beitrags herausgibt.

Themen

Die Schlüsseldokumente sind in 15 Themen untergliedert:

Abb. 2: Themenseite der Hamburger Schlüsseldokumente: https://juedische-geschichte-online.net/thema.

In die Themen führt jeweils ein sachkundiger Artikel ein, dem eine Zusammenfassung vorangestellt ist; er wird durch Bildmaterial angereichert und ergänzt. Die Gliederungspunkte jedes Artikels sind eigens verlinkt, sodass sich problemlos zu Aspekten navigieren lässt, die eine/n am meisten interessieren. Beim einführenden Beitrag zum Thema Erziehung und Bildung, das mit etlichen weiteren Themen verknüpft ist, sind dies nach der Zusammenfassung die Abschnitte Religiöse Unterweisung: Cheder, Talmud Tora, Jeschiwa und Bet HamidraschSäkularisierungsprozess und KulturkampfJüdische FreischulenBildung und AkkulturationErzwungene Schließung der jüdischen SchulenEin Blick auf die Gegenwart. Den Schluss jedes Einführungsbeitrags bilden Hinweise auf weiterführende Literatur, die jeweilige Autorin oder den Autor, die empfohlene Zitierweise. Unter den jeweils in Faksimile und Transkript bereitgestellten Quellen findet sich beim Thema Erziehung und Bildung beispielsweise Eduard Israel Kleys Aufsatz Der Geist in Israelitischen Volksschulen aus der Zeitschrift Sulamith von 1821 oder das Gemeinderundschreiben zur Neueröffnung der Joseph-Carlebach-Schule in Hamburg 2007. Beide sind, wie alle Dokumente, jeweils mit einer Quellenbeschreibung und -interpretation versehen. 

Karte

Die interaktive Karte zeigt den Entstehungsort einer Quelle an, also etwa Hamburg, gegebenenfalls bis auf die Ebene einzelner Stadtteile, sowie eventuell weitere Orte, auf die in einer Quelle Bezug genommen wird. So gelangt man beispielsweise nach Cuxhaven und stößt auf eine Erzählung von Cheskel Zwi Klötzel mit dem Titel Moses Pipenbrinks Abenteuer. Die seltsamen Erlebnisse eines kleinen jüdischen Jungen (in Cuxhaven und Hamburg) von 1920, ergänzt um weiterführende Angaben zu Herkunft und Aufbewahrungsort der Quelle. Eine andere Nutzungsmöglichkeit der Karte ist, sich sämtliche in den Schlüsseldokumenten erwähnten Orte anzeigen zu lassen. Auf diesem Wege kann man sich etwa ins ferne China leiten lassen und stößt dort auf den Passierschein für einen jüdischen Flüchtling, den die Behörde für staatenlose Flüchtlinge in Shanghai 1944 ausstellte. Oder nach Amsterdam, zu einem jiddischen Lied, das der sefardische Drucker David de Castro Tartas 1675 veröffentlichte: Es ist das Digitalisat einer seinerzeit weit verbreiteten Flugschrift, von der heute in Bibliotheken weltweit nur noch, sage und schreibe, zwei Exemplare erhalten sind. Wie die gesamte Online-Edition ist auch die Karte eine Fundgrube, für die es sich lohnt, Zeit und Muße mitzubringen – oder ein spezifisches Forschungsinteresse.

Abb. 3: Interaktive Karte der Hamburger Schlüsseldokumente: https://juedische-geschichte-online.net/karte.

Zeitstrahl

Raritäten aus dem 17. Jahrhundert bis in die 2020er Jahre sind über den Zeitstrahl zu entdecken, sortiert nach dem jeweils ausgewählten Zeitabschnitt. Für die 1920er Jahre verweist er etwa auf agitatorische Seltsamkeiten wie die antisemitischen Klebemarken des Deutschen Schutz- und Trutzbundes aus einer Sammlung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, darunter die mit einem Diktum Luthers über die Juden samt krudester Fortführung.

Abb. 4: Deutscher Schutz- und Trutzbund, Klebemarken, Hamburg, genaue Datierung unklar, vor 1922, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-138.de.v1>.

Aus den 1950ern ist etwa ein Artikel aus dem Hamburger Abendblatt nachzulesen; darin erzählt die Autorin Grete Berges über ihre Rückkehr nach Hamburg, nach 17 Jahren im Exil. Und aus den 2020er Jahren wird das an der Technischen Universität Braunschweig, Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur, erstellte 3D-Modell der sefardischen Synagoge in der Hamburger Bäckerstraße gezeigt. 

Nicht zuletzt lässt sich mittels des Zeitstrahls nachschlagen: nach Personen, von Konrad Adenauer bis Stefan Zweig, die in den Schlüsseldokumenten beziehungsweise den erläuternden Beiträgen genannt sind, desgleichen nach Orten, Organisationen, von A wie Academic Assistance Council bis Z wie Zionistische Vereinigung für Deutschland, Epochen und Ereignissen, der Bibliografie sämtlicher in der Online-Edition verwendeten Schriften, den versammelten Beiträgen selbst sowie dem Glossar, von A wie Achtzehngebet/Schemone Esre bis Z wie Zedaka (hebr. »Wohltätigkeit«) usw.

Abb. 5: Seite „Historische Epochen und Ereignisse“ der Hamburger Schlüsseldokumente: https://juedische-geschichte-online.net/ereignis.

Über die Online-Edition

…heißt es nach eigener Darstellung des IGdJ, dass sie eine Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bilden soll. „Durch die Präsentation von bislang weniger beachtetem Quellenmaterial sowie die neuartige Anordnung und Aufbereitung bekannter Archivalien sollen Denkanstöße gegeben und neue Fragestellungen angeregt werden. Die Quelle steht im Mittelpunkt, von ihr ausgehend soll die Auseinandersetzung über konkrete Deutungen und Einordnungen gefördert werden.“

Und weiter: „Alle Quellen werden als Transkript und digitales Faksimile bereitgestellt und durch Interpretations- und Hintergrundtexte in ihre historischen Kontexte eingebettet. Angereichert werden die Materialien durch Informationen zur Überlieferung, zur Rezeptionsgeschichte und zu wissenschaftlichen Kontroversen. Alle Inhalte werden sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch angeboten.“ Ja, all dies leistet die Edition tatsächlich, also willkommen!

Zum Technischen

Ebenfalls aus der Selbstbeschreibung geht hervor, dass die Online-Edition ein Modellprojekt zur praktischen Erprobung und Weiterentwicklung bestehender digitaler Infrastrukturen ist, auf Open-Source-Lösungen zurückgreift und Standardformate wie METS/MODS (Digitalisate), TEI P5 (Textauszeichnung der Transkriptionen und Übersetzungen), DOI (persistente Adressierung) sowie GND-Beacon-Dateien für Normdaten integriert. Erst die TEI P5-Auszeichnung der Texte macht diese maschinenlesbar: So wird etwa die Textstruktur erfasst, und Personen-, Organisations- und Ortsnamen werden mit Normdaten versehen. Diese ermöglichen es dann auch, die Quellen auf der Karte anzeigen zu lassen bzw. in den Zeitstrahl einzuordnen; außerdem können die verschiedenen Materialien untereinander verlinkt werden. In den Informationen zur Quelle werden unter „Forschungsdaten herunterladen“ verschiedene maschinenlesbare Formate wie TEI P5, METS-XML oder JSON-LD zum Download der Volltexte und Metadaten angeboten. Partner bei der digitalen Langfristarchivierung ist das Regionale Rechenzentrum der Universität Hamburg, das dafür die MyCoRe-Plattform einsetzt. Für die Nachnutzung der Dokumente gelten unterschiedliche Lizenzen gemäß Creative Commons, die in den dokumentspezifischen Metadaten aufgeführt sind.

Last not least

Kurz hinzuweisen ist noch auf zusätzliche Formate, die bereits auf der Startseite der Hamburger Schlüsseldokumente angezeigt werden, wie die hervorragend gestalteten Online-Ausstellungen, das Themendossier zu Martha Glass oder die Handreichungen für Unterricht und Lehre in Schule und Hochschule. Wer sich alles vorweg einmal in Ruhe anschauen will, kann sich in die 118 Seiten starke und mit zahlreichen Abbildungen versehene Begleitbroschüre vertiefen.

Verwendete Websites

Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte. Eine Online-Quellenedition. Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ), Hamburg. Online: https://juedische-geschichte-online.net.

Jüdische Geschichte online. Portal. Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ), Potsdam. Online: https://juedische-geschichte-online.net/projekt/portal/.